1.Mai auf dem Römerberg
Jutta Shaikh, Frankfurt:
Am 1. Mai 2022 hörten mehr als 6000 Menschen Jutta Shaikh auf dem Römerberg in Frankfurt a. M. zu. Die Frankfurter OMAS GEGEN RECHTS hatten gemeinsam mit dem DGB die Großveranstaltung organisiert.
Für alle, welche wissen möchten, was Jutta zu sagen hatte, können das hier lesen:
“Es ist mir eine Freude und Ehre hier als Vertreterin von Omas gegen Rechts zu euch zu sprechen. Dass Rentnerinnen am ersten Mai, dem Tag der Arbeit, gemeinsam mit dem DGB zu einer Solidaritätsveranstaltung aufrufen, mag zunächst etwas ungewöhnlich erscheinen, aber der 1. Mai versinnbildlicht das Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit, Freiheit und Völkerverständigung, also genau das, wofür wir Omas gegen Rechts uns engagieren. Mit dem Grundsatz „wir sind alt, aber nicht stumm“ erheben wir seit mehr als 4 Jahren unsere Stimme gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, gegen Hass, Hetze und Gewalt nicht um unser selbst willen, sondern weil wir einen Beitrag leisten wollen, dass unsere Kinder und Enkelkinder in einer demokratischen, friedlichen, einer sozial gerechten Welt mit einer gesunden Umwelt aufwachsen können.
Unsere bundesweite Schleifen Kampagne mit dem Motto
„Wir sind mehr, wir setzen ein Zeichen für Respekt, Toleranz, Solidarität und Demokratie“ entwickelten wir im Januar gemeinsam mit dem Gelnhausener Verein Hand aufs Herz in einer Zeit, als die Corona Pandemie mit der Delta Variante wieder die Intensivstationen unserer Krankenhäuser füllte und unsere Ärzte und Pflegekräfte bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit arbeiteten, um Menschenleben zu retten. Wir taten es in einer Zeit, in der gleichzeitig die sogenannten Spaziergänger, die Querdenker immer lauter und radikaler wurden bis hin zu Gewalt und Morddrohungen für Ärzte, die Impfungen durchführen.
Ja, die Corona Schutzmaßnahmen schränkten Freiheitsrechte ein, so lange es zum Schutz unserer Mitmenschen erforderlich war und ja, konstruktive Kritik an Corona-Maßnahmen war und ist legitim und wichtig.
Die Drahtzieher, die Organisatoren dieser „Spaziergänge” sind jedoch Rechtsextremisten, denen es nicht wirklich um Corona und die damit verbundenen Schutzmaßnahmen ging. Die Pandemie diente ihnen lediglich als Mittel zum Zweck, um unsere Demokratie zu unterwandern und auszuhöhlen. Dies lassen wir nicht zu!
Sie verbreiten die Lüge der ‚Corona-Diktatur‘, nutzen jedoch genau die demokratischen Grundrechte, die ihnen unser Rechtsstaat gewährt und die in keiner Diktatur möglich wären.
Sie diffamieren die unabhängigen Medien als Lügenpresse, um sie abzuschaffen, denn sie wollen keine Meinungsfreiheit, sie lassen nur ihre eigene Meinung gelten. Die Abschaffung der Pressefreiheit ist jedoch der erste Schritt zur Diktatur.
Sie nutzen die Ängste und Unzufriedenheit von Menschen, um zu polarisieren, zu radikalisieren und die Gesellschaft zu spalten. Sie negieren wissenschaftliche Fakten, verbreiten Verschwörungsmythen, verhöhnen unsere Solidargemeinschaft und greifen unsere Demokratie und damit uns alle massiv an.
Die große Mehrheit in unserer Gesellschaftverhielt sich verantwortungsbewusst und solidarisch, ganz anders als die Querdenker; jedoch die Mehrheit ist nicht laut, geht nicht auf die Straße. Mit dem Slogan Wir sind mehr, wir setzen ein Zeichen für Respekt Toleranz, Solidarität und Demokratie wollen wir diesen Mitbürgern eine Stimme geben, indem wir ihnen mit einem visuellen Zeichen ein niedrigschwelliges Angebot unterbreiten. Kleine ansteckbare Schleifen bedruckt mit den Worten Respekt, Toleranz, Solidarität und Demokratie.
Wir appellieren an alle solidarischen Bürger, diese Schleifen zu tragen und damit ein Zeichen gegen Verschwörungsmythen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen. Sie sind hier an unserem Tisch und auch bei VVN und den Naturfreunden verfügbar, gegen eine kleine Spende an Ärzte ohne Grenzen, die in der Ukraine aber auch weltweit Flüchtlinge in Not versorgen. Auch kleine Beträge sind willkommen und wichtig.
Für diese bundesweite Aktion konnten wir viele Unterstützer gewinnen, sowohl Parteivorsitzende auf Bundesebene und in den einzelnen Bundesländern, (für Hessen z.B. auch Nancy Faeser), Ministerpräsidenten mehrerer Bundesländer sandten uns Videobotschaften, alle Religionsgemeinschaften unterstützen uns mit Statements und einen besonderen Dank darf ich auch der Stadt Frankfurt und den Gewerkschaften und vielen engagierten Organisationen für ihre Unterstützung bei dieser Aktion aussprechen.
Unsere ursprünglich in Frankfurt im März geplante Solidaritätsveranstaltung hatten wir wegen des Ukraine Krieges zugunsten von Friedens- und Solidaritätskundgebungen für die Ukraine abgesagt.
Aber der Ukraine Krieg darf trotz der grausamen schrecklichen Ereignisse nicht dazu führen, dass andere Themen komplett untergehen.
Die Werte Respekt, Toleranz, Solidarität und Demokratie sind durch diesen schrecklichen Krieg nicht weniger bedeutsam geworden, ganz im Gegenteil.
Sie betreffen viele Aspekte in unserer Gesellschaft, jetzt und in Zukunft.
Bei unserer Veranstaltung im März, wie auch heute wollten wir allen in systemrelevanten Berufen Beschäftigten unseren Dank, unsere Anerkennung und unsere Solidarität aussprechen. Mit Applaus vom Balkon allein ist es bei Weitem nicht getan. Wir Omas gegen Rechts treten ein für Solidarität der Gesellschaft – aber Solidarität darf keine Einbahnstraße sein.
Viele Menschen mussten in der Pandemie Einkommensverluste hinnehmen oder waren sogar in ihrer Existenz bedroht vor allem kleine Läden, die Gastronomie und der Kulturbereich, gleichzeitig haben die reichsten 10% ihr Vermögen fast verdoppelt. Die Pandemie hat die Ungleichheit bei den Einkommens- und Vermögensverhältnissen noch verschärft. Wo ist die Solidarität der Vermögenden? Warum macht die Politik nichts, um diese einzufordern? Wir fordern, dass alle einen solidarischen Beitrag leisten – auch die Reichen!
Wir Omas gegen Rechts werden uns gemeinsam mit den Beschäftigten und Gewerkschaften für Verbesserungen von deren Arbeitsbedingung und Bezahlung einsetzen.
Im medizinischen und Pflegesektor hat die Corona Pandemie bestehende Schwachpunkte noch deutlicher hervortreten lassen und verschärft.
Wenn unsere Ärzte, Krankenpfleger:innen unsere Altenpfleger:innen nicht mehr Anerkennung, bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung bekommen dann wird der Mangel an Personal noch rasanter steigen
Liebe Freundinnen und Freunde, wer wird euch dann noch helfen, wenn ihr in 10, 20 oder 30 Jahren Pflege benötigt?
Es kann und darf nicht sein, dass diejenigen, die sich um hilfsbedürftige Menschen kümmern, weniger verdienen als diejenigen die sich um Maschinen oder Geld kümmern.
Im Gesundheitsbereich darf es nicht um Gewinnmaximierung gehen, nicht um share holder value. Unser Gesundheitssystem wurde nach dem Solidaritätsprinzip konzipiert. Da haben Finanzinvestoren, die Gewinne machen wollen, nichts zu suchen. Deren Gewinnerwartung erhöht die Beitragskosten und geht zu Lasten der Patienten und oder zu Lasten der in diesen Bereichen Beschäftigten.
Solidarisches Verhalten darf nicht nur immer von denen gefordert werden, die sowieso schon wenig haben. Es muss von allen gefordert werden. Jeder sollte z.B. in die gesetzliche Krankenkasse einzahlen, auch Selbständige und Besserverdienende mit einem Prozentsatz ohne Betragsobergrenze. Sie können es sich leisten, und das würde sofort die finanzielle Lage der Kranken- und Pflegebereiche verbessern. Die Privatisierung von Krankenhäusern muss nicht nur gestoppt, sondern sollte rückgängig gemacht werden.
Wie im Gesundheitssektor wurden auch in den Schulen und Universitäten die bereits vorhandenen bildungspolitischen Probleme in der Pandemie noch deutlicher, die Bildungsungleichheit verstärkte sich. Mit unzureichender digitaler Ausstattung und ohne Vorbereitung sollten die Lehrer:innen plötzlich den Schülern online alles Wissen übermitteln. Schüler aus sozial schwächeren Familien, die auf beengtem Raum häufig ohne Computer und ohne familiäre Unterstützung waren, wurden noch weiter abgehängt. Viele Lehrer:innen fühlten sich überfordert. Und jetzt kommt bereits die nächste Herausforderung auf die Lehrer zu – eine große Anzahl neuer Schüler, die aus der Ukraine zu uns flüchten und jetzt ohne Deutschkenntnisse in das Schulsystem eingegliedert werden müssen.
Wir haben bereits jetzt nicht ausreichend Lehrkräfte, viele unserer Schulen sind marode und im Bereich Bildung wurde von den Regierungen gespart.
Liebe Freundinnen und Freunde, lasst uns nicht vergessen, wir haben in Deutschland kaum Rohstoffe. Die wichtigste Voraussetzung für unser aller Wohlstand sind top ausgebildete, innovative Menschen. Ohne ein verbessertes Bildungssystem, welches das gesamte Potential aller jungen Menschen nutzt, werden wir international abgehängt werden. Wir brauchen mehr gut ausgebildete Lehrer:innen, denn hier geht es um die Zukunft unserer Kinder und um unser aller Zukunft. Nur wenn die Schüler richtig vorbereitet sind, werden sie in der Lage sein, ihren Beitrag zu unser aller Wohlstand zu erbringen.
Dies gilt auch für die politische Bildung. Wer in einem freiheitlichen, demokratischen System leben möchte, der muss Demokratie verstehen, um sich aktiv einbringen zu können. Unsere Welt wird nicht einfacher werden und Verunsicherung und Ängste sind die Folge. Rechtspopulistische, rechtsextreme Kräfte und Parteien werden versuchen diese Ängste zu verstärken, und Verschwörungsideologien als scheinbar einfache Lösungen anbieten, um die Gesellschaft zu spalten, die Demokratie auszuhöhlen, zu zerstören und ein antidemokratisches, autokratisches System einzurichten. Um dies zu verhindern ist politische Bildung sehr, sehr wichtig.
Wir Omas gegen Rechts erklären uns solidarisch mit den Forderungen der Lehrkräfte und den Forderungen nach mehr Investitionen in ein Bildungssystem, das allen Kindern unabhängig vom Einkommen oder sozialem Status der Eltern gleiche Chancen bietet. Die Verbesserung im bildungspolitischen Bereich darf nicht weiter nur ein Lippenbekenntnis der Politiker bleiben.
Nicht nur die Corona Pandemie hat uns vor neuen Herausforderungen gestellt. Jetzt tobt ein Krieg in Europa der Gefahren und Einschränkungen für uns alle bedeutet. Und auch die Klimakrise birgt immer größere Gefahren in sich. Das Ukrainische Volk kämpft für seine Freiheit, für das Recht, eine demokratische, von Russland unabhängige Gesellschaft aufzubauen. Hier aber lauern bereits die radikalen rechtspopulistischen und rechtsextremen, vielfach von Russland unterstützte Drahtzieher der sogenannten Querdenker in den Startlöchern, um z.B. Unzufriedenheit über höhere Energiepreise usw. und die damit verbundenen Ängste in der Gesellschaft für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Die gleichen Drahtzieher werden in naher Zukunft versuchen Massen zu mobilisieren, gegen eine angebliche Klimadiktatur und dabei wieder alle wissenschaftlichen Fakten leugnen.
Der harte radikale Kern dieser Querdenker-Bewegung ist nicht verschwunden, er wird sich weiter radikalisieren. Die antisemitischen Verschwörungsmythen vom „großen Austausch“ sind nicht verschwunden. Sowohl die Covid-19-Pandemie wie auch die Impfstoffe und die Klimakrise werden weiterhin als Teil der gleichen, angeblich jüdisch bestimmten Weltverschwörung dargestellt werden. Wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen. Wir dürfen uns nicht von einer lauten radikalen Minderheit verführen lassen.
Wir lassen unsere Demokratie nicht zerstören, unsere Gesellschaft muss solidarisch zusammenstehen – alle arm und reich, jung und alt. Wir Omas gegen Rechts appellieren hiermit an alle, setzt ein Zeichen für Respekt, Toleranz und Solidarität für unsere rechtsstaatliche Demokratie.
Bitte vergesst nicht die Solidaritätsschleifchen und eine kleine Spende für Ärzte ohne Grenzen. – vielen Dank!
Jutta Shaikh
OMAS GEGEN RECHTS in Deutschland
Vorstand des Vereins Omas gegen Rechts Deutschland e.V.”